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Wenn die Schwiegermutter an die Terassentür klopft

Dass ausgerechnet die (Schwieger)Eltern dem Eheglück im Wege stehen können – für viele Paare kommt das überraschend. Vor allem wenn das Verhältnis so gut ist, dass das junge Paar sogar mit ihnen unter einem Dach lebt.

 

Wer kennt das nicht - Die Sehnsucht nach dem richtigen Partner? Den Wunsch endlich anzukommen und sich bei jemandem zu Hause zu fühlen. Und immer da, wo Menschen miteinander in Beziehung treten, geht es auch um Fragen der Nähe und Abgrenzung.

Vor diesen Fragen stehen auch Maren (31) und Thomas (34). Sie sind seit sechs Jahren verheiratet, vor fünf Jahren kamen ihre Tochter Sophie und vor drei Jahren ihr Sohn Leon zur Welt. Als Maren mit Sophie schwanger war, stellte sich die Frage nach einer größeren Wohnung. Nach langem hin und her entschieden sie sich dafür, die gerade freigewordene Einliegerwohnung im Elternhaus von Thomas zu beziehen. Diese hatte einen Garten, war günstig und ein guter Kindergarten war auch in der Nähe. Ein unschlagbares Angebot also.

 

gestörte Privatsphäre

Heute, fünf Jahre später sieht besonders Maren dies anders. Sie ist frustriert darüber, dass ihre Schwiegermutter häufig unangemeldet und zu unpassenden Zeiten vor der Wohnungstür steht. Immer öfter kommt es in letzter Zeit vor, dass sie gar nicht bis zur Eingangstür geht, sondern direkt an der Balkontür klopft. Maren ärgert sich sehr über das Verhalten ihrer Schwiegermutter und fühlt sich in ihrer Privatsphäre gestört. Geht es ums Thema Kindererziehung hat Thomas Mutter klare Ansichten, welche sie auch vehement vertritt. Marens Ansichten kann sie an vielen Punkten nicht nachvollziehen. Es fällt Maren schwer, sich hier gegenüber ihrer Schwiegermutter zu behaupten und ihren Standpunkt zu vertreten.  Wenn Maren diese Themen mit ihrem Mann bespricht, wird dieser schnell sauer. Er kann nicht verstehen, dass Maren dies so eng sieht. Seine Mutter wolle doch nur eine gute Hausgemeinschaft pflegen und mit Kindern kenne sie sich aus, schließlich war sie 30 Jahre lang Erzieherin. Maren ist enttäuscht, dass Thomas sich so selten auf ihre Seite stellt und zu ihr hält. Sehr häufig verbringt Thomas seine freie Zeit in der Wohnung seiner Eltern. Selbst wenn er laut seiner Aussage nur mal kurz „vorbeischauen“ will, bleibt er mindestens eine Stunde weg. Manchmal hat er dann bereits mit seinen Eltern zusammen zu Abend gegessen, während Maren in ihrer Wohnung liebevoll den Tisch für die gemeinsame Mahlzeit gedeckt hat. Darüber ärgert sich Maren. Geht es um wichtige Entscheidungen und Erziehungsfragen, zieht Thomas häufig seine Eltern zu Rate.

 

"Auf welcher Seite stehtst du?"

Inzwischen ist die Lage zwischen Maren und Thomas so angespannt, dass ein harmonisches Miteinander kaum mehr möglich ist. Ständig gibt es Konflikte. Maren möchte, dass ihr Mann zu ihr steht – an ihrer Seite. Thomas jedoch fällt dies schwer. Er möchte seiner Frau ein guter Ehemann sein, er möchte aber auch ein guter Sohn sein. Dabei fühlt er sich ständig hin-und hergerissen, so als ob er zwischen zwei Stühlen sitzen würde.

 

Was ist hier passiert? Thomas hat eine stärkere Bindung zu seiner Mutter, als gut für seine Ehe ist. Den Prozess des „Abnabelns“, der die Voraussetzung für eine stabile Partnerschaft und eine reife Persönlichkeit ist, hat er noch nicht ausreichend durchlaufen. Das belastet die Beziehung zu seiner Frau. Maren ihrerseits gelingt es nicht ausreichend, sich gegenüber ihren Schwiegereltern abzugrenzen. Thomas und Maren müssen wichtige Schritte des „Abnabelns“ nachholen.

 

Zu diesem Reifeprozess gehören:

  • Emotionale Unabhängigkeit - Herausfinden, wer man ist
  • Geistig-moralische Unabhängigkeit - Finden und Vertreten eigener Standpunkte und Meinungen
  • Unabhängigkeit im Verhalten - Entscheidungen treffen und Verrichtungen des Alltags bewältigen
  • Finanzielle/wirtschaftliche Unabhängigkeit

Am Beispiel von Thomas und Maren wird deutlich, dass Thomas sich in seinen Entscheidungen noch zu stark an der Meinung seiner Eltern ausrichtet. Auch beim Finden und Vertreten eigener Standpunkte tut er sich schwer. Hier möchte er es gern allen recht machen. Es gelingt ihm nicht, seinen Eltern gegenüber die notwendigen Grenzen zu setzen. Häufig ist er sich im Unklaren darüber, was er selbst eigentlich will und fühlt sich von den Ansprüchen anderer hin-und hergetrieben. Maren ist sich ihrer Standpunkte und ihrer Grenzen stärker bewusst als ihr Mann, jedoch hat sie häufig nicht den Mut, dafür einzustehen. Konfrontationen geht sie gern aus dem Weg. Sie ist sich nicht sicher, ob sie ihrem Mann mit ihrer Meinung so in den Rücken fall darf. Sie stellt sich häufig die Frage, ob Sie ihre Meinung überhaupt so direkt sagen darf und fürchtet sich, ihre Schwiegermutter damit zu verletzen.

 

Verbundenheit aufgeben

Wir sehen also: Älter werden wir von allein – Reif nicht unbedingt. Dazu bedarf es der Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben. Wer autonom leben will, muss ein Stück seiner Verbundenheit aufgeben. Um ein eigenständiges Leben als Paar oder junge Familie zu führen ist es nötig, seine Grenzen abzustecken und zu vertreten.

 

Das heißt: Wir müssen die Verbindung zu den Eltern lockern, um frei zu sein für die Beziehung zu unserem Partner. Eine Familie zu haben, die sich kümmert ist, ein großer Schatz. Es ist großartig, wenn Eltern da sind, die Interesse zeigen und Anteil am Leben ihrer Kinder haben wollen. Die Verbindung zum eigenen Partner sollte jedoch in dieser Lebensphase die stärkere sein. Phasenübergänge in Beziehungen sind immer dadurch gekennzeichnet, dass ein Mensch seine Prioritäten neu bestimmt. In der Pubertät werden für den Jugendlichen Gleichaltrige wichtiger als die Eltern. Wenn ein Paar zusammenkommt, sollten die Eltern den beiden weniger wichtig werden. Wenn ein Paar ein Kind bekommt, tritt zunächst die Paarbeziehung in den Hintergrund.

 

Sich selbst kennen

Was können Thomas und Maren tun, um diesen Prozess nachzuholen? Thomas kann sich als erstes bewusst machen, dass er die Beziehung zu seiner Frau aufs Spiel setzt, wenn er nicht bereit ist, sich von seinen Eltern zu lösen. Maren kann sich bewusst machen, dass es in ihrer Verantwortung liegt, für sich selbst zu sorgen und ihre Grenzen zu vertreten. Folgende Fragen können Thomas und Maren dabei helfen: Was macht mich aus? Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Welche Stärken habe ich? Wo sind meine Schwächen? Erst wenn jeder der Beiden für sich weiß, wer er/sie ist und wo er/sie steht, können beide gemeinsame Wertvorstellungen für ihre Beziehung entwickeln. Und daraus ergibt sich auch ein Standpunkt, wie der Kontakt zu Thomas Eltern in Zukunft aussehen soll, so dass beide Partner gut damit leben können.

 

Das kann bedeuten, dass Thomas Stück für Stück lernt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Das heißt auch, dass Thomas lernen muss, seine Eltern möglicherweise zu enttäuschen. Das kann auch heißen, dass Thomas liebgewonnen Rituale und Gewohnheiten ändern muss und erkennt, dass er es nicht immer allen recht machen kann. Im täglichen Leben ist dies oft harte Arbeit und häufig ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Eingefahrene Gewohnheiten und Einstellungen lassen sich nicht mal eben ändern. Da heißt es immer wieder durchzuhalten und dranzubleiben. Maren kann lernen mutiger zu werden und für ihre Überzeugungen einzustehen, auch auf die Gefahr hin andere zu enttäuschen, denn zu einer reifen Persönlichkeit gehört es auch, unbequeme Dinge anzusprechen.

 

neue Grenzziehung

Ist der Prozess der Abnabelung schließlich gelungen, könnte der Kontakt von Maren und Thomas zu seinen Eltern in Zukunft so aussehen: Maren fordert ihre Schwiegermutter dazu auf, vor einem Besuch bei ihr anzurufen und nicht mehr spontan vor der Tür zu stehen. Maren bittet ihre Schwiegermutter bei Besuchen die Wohnungstür zu benutzen und nicht den Weg durch den Garten zu nehmen. Maren vertritt ihren Standpunkt in Fragen der Kindererziehung und bittet ihre Schwiegermutter sich an ihr Erziehungskonzept zu halten, selbst wenn sie dies nicht für richtig hält. Thomas wird sich mehr und mehr klar darüber, wer er ist und was ihn selbst ausmacht. Er sucht das Gespräch mit seiner Mutter und erklärt ihr die Gründe für seine Verhaltensänderung. Er reduziert die Besuche bei seinen Eltern auf einmal wöchentlich. Seine Mahlzeiten verbringt er zu Hause bei seiner Frau und seinen Kindern. Wichtige Entscheidungen durchdenkt er selbst und bespricht sie mit seiner Frau. Im Konfliktfall mit seinen Eltern stärkt er seiner Frau den Rücken und steht hinter ihr.

 

Kurz zusammengefasst heißt das: Wir brauchen Beziehungen! Beziehungen sind kostbar und brauchen Pflege. Beziehungen benötigen Nähe und Abstand. Beziehungen leben von Vergebung. Beziehungen brauchen Verantwortung und Klarheit. Beziehungen brauchen Reife!